Montessori hat sich vehement gegen den „althergebrachten“ Weg, mit Kindern zu kommunizieren, gestellt. Von Disziplinierung mittels Zwang oder Druck hielt sie naturgemäß gar nichts. Allerdings gibt es von ihr auch keine genauen Protokolle zur Frage, wie man stattdessen mit Kindern sprechen soll.
Sie möchte stattdessen dafür sensibilisieren, was Kommunikation alles ist; nämlich viel mehr als nur verbale Äußerungen. Auch die Gestaltung der Umgebung, unser eigenes Verhalten und die Struktur, die wir dem Alltag geben, sagen unseren Kinder etwas. Die Botschaft, die wir vermitteln, sollte eine aufmerksamen Respekts sein. Was ein Kind spüren und wissen soll ist, dass es geschätzt und geliebt wird, dass es sich frei entfalten darf, dass es aber auch einen Rahmen und Regeln gibt.
Der folgende Kommunikations-Guide ist von Montessoris Kinder- und Menschenbild und insbesondere vom “Praxishandbuch der Montessori-Methode” (Herder-Verlag, 2015) inspiriert.
1. Was wollen wir kommunizieren?
Die gängigsten Sprachspiele mit Kindern
Der respektvolle Umgang mit Kindern ist großteils Kommunikation, verbal und nonverbal. Doch was können wir alles kommunikativ vermitteln und wie machen wir es am besten?
All die verschiedenen Zwecke, die wir mit Kommunikation verfolgen, nennt der Philosoph Ludwig Wittgenstein „Sprachspiel„. Das „Spiel“ darf wörtlich verstanden werden: ein Sprachspiel kennt klare Regeln; wir dürfen es aber auch variieren, damit experimentieren und uns daran freuen.
Die folgenden Sprachspiele sind im Umgang mit Kindern unerlässlich:
Validieren
Dieser sperrige Begriff meint hier: Dem Kind vermitteln, dass seine Perspektive wertvoll und „valide“, also gültig ist, und das ist besonders für jüngere Kinder enorm wichtig, um sich in der Welt zurechtzufinden.
So geht Validieren:
- Du wiederholst, was dein Kind sagt,
- du fasst in eigene Worte, was du in der Welt oder an deinem Kind (an Emotionen oder Verhalten) wahrnimmst;
- du lässt Raum für Ergänzungen (z.B. durch Nachfragen).
- Du stellst wertungsfrei daneben, was du selbst über die Situation denkst oder machst Vorschläge, wie man die Situation bewerten oder wie man mit ihr umgehen könnte.
Entscheidend ist, dass sich dein Respekt vor der Perspektive des Kindes ausdrückt, die nicht weniger oder mehr wert ist als deine.
Die Welt beschreiben
Auch dieses Sprachspiel spielen Eltern oft automatisch den ganzen Tag über. Und das lohnt sich durchaus, denn Kinder saugen diese vielen Informationen oft auf wie ein Schwamm.
Allerdings dürfen wir die Welt nicht „wegerklären“, denn es ist auch notwendig, dass sich ein Kind darin selbst zurechtfinden muss. In der Montessori-Pädagogik gibt es Zeiten, in denen wir erklären, zeigen und beschreiben – und es gibt Zeiten, in denen wir uns ganz zurücknehmen und schweigen.
Wenn wir erklären, dann darf es nicht um uns und unser umfassendes Wissen gehen, sondern darum, welche Informationen für das Kind jetzt interessant sind.
Wir bleiben am ganz Konkreten, an dem, was sich uns direkt zeigt. Wir benennen einfach, was wir sehen, und bieten dem Kind damit ein Vokabular an, mit dem es sich die Welt erschließen kann.
Und fast noch wichtiger ist es, einen Raum für die eigenen Beobachtungen und Erklärungen des Kindes zu eröffnen.
Nach Bedürfnissen fragen
Hier sind besonders Eltern von Babys und Kleinkindern wahre Meister – und zwar nicht nur im Erfragen, sondern auch im Erraten von Bedürfnissen.
Wichtig ist, dass man dem Kind auf diesem Weg ein Werkzeug (nämlich die richtigen Worte) in die Hand gibt, um Bedürfnisse gut zu erspüren und bald selbst zu äußern. Dazu ist es wichtig, dem Kind nicht jeden Wunsch von den Augen abzulesen oder ständig etwas anzubieten.
Stattdessen behältst du dein Kind gut im Blick und achtest auf Veränderungen in der Stimmung und im Verhalten. Natürlich sollst du auch bei offenkundiger Unzufriedenheit verschiedene Bedürfnisse abfragen und dabei stets vermitteln, dass jedes Bedürfnis in Ordnung ist, auch wenn es nicht augenblicklich erfüllt werden kann.
Kontakt herstellen, die Beziehung pflegen
Auch dieses Spiel ist ein sehr intuitives, das ab dem ersten Tag für die gesunde Entwicklung deines Kindes sorgt. Kontaktaufnahme soll beiderseitig funktionieren.
Wenn dein Kind gerade beschäftigt ist, unterbrich es nicht, sondern warte, bis es bereit für den Kontakt ist (das gilt auch für ganz kleine Babys). Mach ein Kontaktangebot und pass auf, wie dein Kind reagiert.
Lass viel Raum für spontane Einfälle, kleine Spiele und lustige Blödeleien.
Dein Kind ist dein Gegenüber, nicht dein Spiegel, und ihr sollt die Beziehung in gleichem Maße gestalten können – vom ersten Tag an. Später hilft die effektive Kontaktaufnahme auch in schwierigen oder emotionalen Situationen, bei Konflikten oder wenn du deinem Kind etwas zeigen oder beibringen möchtest.
Grenzen setzen
Montessori macht in ihren Schriften deutlich, dass Grenzen essenziell für eine Gemeinschaft sind. Wo immer Verhalten destruktiv ist, muss ihm Einhalt geboten werden.
Dies geschieht auf möglichst gelassene und trotzdem eindeutige Weise: Bezugspersonen verhalten sich als Vorbilder, fordern die Einhaltung der Grenzen nüchtern ein und kritisieren niemals die Person, sondern nur das Verhalten.
Wenn ein bestimmtes Verhalten wieder und wieder auftritt, schlägt Montessori vor, nach möglichen (auch organischen) Ursachen zu suchen.
- Fühlt sich dein Kind unwohl?
- Hat es in einer bestimmten Situation eine unangenehme Erfahrung gemacht, die es vermeiden möchte?
- Steht ihm ein unerfülltes Bedürfnis im Weg?
Erfahre hier mehr über Freiheit und Grenzen in der Montessori Pädagogik
Anweisungen geben
Kinder müssen sich oft den ganzen Tag lang Anweisungen anhören. Viel wirkungsvoller ist es, dem Kind bewusst und am eigenen Vorbild zu zeigen, wie es sich verhalten soll. Das, was zu tun ist, soll sich aus der Situation ergeben und nachvollziehbar sein.
Anstatt “Geh deine Hände waschen!” kann das so klingen: “Wie fühlen sich deine Hände an? Sind sie schmutzig? Es ist wohl Zeit, die Hände zu waschen.”
2. Grundsätze respektvoller Kommunikation mit Kindern
Präsenz und Ruhe
Es ist für das Gelingen jeder Kommunikation eigentlich ganz grundlegend, präsent zu sein und sich auf das Gegenüber zu konzentrieren.
Nur so kann die Botschaft wirklich ankommen und ein tiefer Kontakt stattfinden. Mit Kindern ist dieser Punkt nochmal zentraler; zugleich ist es so unglaublich schwer, das im hektischen Alltag zu verwirklichen.
Zu groß ist der „Mental load„, zu wenig Zeit bleibt zum Durchatmen. Da hilft wirklich nur konsequentes Üben.
Reduktion
Wenn es eine Maxime gibt, die Eltern und PädagogInnen von Montessori übernehmen kann, dann ist es: Nimm dich zurück!
Das allein ist eine Form der Kommunikation, die vermittelt: Du bestimmst über dich selbst, und ich bin da, wenn du Hilfe brauchst.
Wenige, wohl gewählte Worte kommen zudem viel besser an als ein Redeschwall. Und Kontakt zu deinem Kind lässt sich auch ganz einfach ohne Worte herstellen.
Klarheit
Klarheit hat viel mit dem Gedanken “weniger ist mehr” zu tun. Wenn du in voller Präsenz, ruhig, klar und langsam sagst, worum es geht, kommst du mit weniger Worten aus.
Dein Kind versteht viel besser, was du sagen willst, wenn es nicht so viel zu verarbeiten hat und nicht zusätzlich deine Emotionen oder einen “versteckten Sinn” deuten muss. Dazu brauchst du aber selbst auch sehr viel Klarheit – sie beginnt also im reflektierten Umgang mit dir selbst.
Körperarbeit
Als Erwachsene sind wir oft sehr verbal ausgerichtet – wir konzentrieren uns also stark auf die Message. Kinder dagegen sind sehr stark verkörpert und nehmen auf dieser Ebene viel wahr.
Montessori hält ihre PädagogInnen dazu an, mit klarer Gestik und Mimik zu kommunizieren und sich stark auf die eigene Vorbildfunktion zu verlassen. Körperbewegungen sollen sehr bewusst und präzise ausgeführt werden, wenn du damit etwas Bestimmtes vorzeigen oder rüberbringen möchtest.
Vielfalt im sprachlichen Ausdruck
Wir meinen oft, mit Kindern eher in einfacher Sprache sprechen zu müssen. Das stimmt nur zum Teil. Wie Montessori richtig feststellt, lernen Kinder in der sensiblen Phase für Sprache oft die schwierigsten Wörter richtig zu verwenden.
Die einzige Voraussetzung ist, dass wir sehr deutlich erklären oder zeigen müssen, was ein Wort wirklich heißt.
Resonanz
Oft scheint es so, als wollten wir im Umgang mit Kindern durch viel Reden unsere Führungsrolle untermauern. Doch echter Kontakt findet nur da statt, wo wir resonant sind, also uns vom Gegenüber berühren und beeinflussen lassen.
Diese Resonanz hilft deinem Kind, sich selbst wahrzunehmen – und das hilft ihm in der Folge auch, andere Personen gut wahrzunehmen.
Schweigen zulassen
Schweigen und Stille sind in der Montessori-Pädagogik kein notwendiges Übel, sondern die Voraussetzung dafür, dass Kinder bei sich sein können. Die “Lektion des Schweigens” ist eine Übung, die sie vorschlägt, um Disziplin und Ruhe herzustellen, und zwar auf ganz sanfte Art und Weise. Führt auch in eurer Familie Rituale ein, in denen nicht gesprochen, sondern nur gelauscht und nachgespürt wird.
Ernst gemeintes Lob
Das Lob, einst wichtigstes Werkzeug in der Erziehung zum Selbstvertrauen, ist in letzter Zeit ein wenig in Verruf geraten. Bei Montessori hat Loben die Qualität von Anerkennung und Wahrnehmung.
Es geht darum, sich auf seine Arbeit einzulassen und ihm zu vermitteln, dass es gesehen wird. Mehr möchte ein Kind zumeist auch gar nicht – denn die Motivation, sich mit etwas zu beschäftigen, soll ja möglichst intrinsisch bleiben.
Die Situation mitbedenken
Wer zu viele Prinzipien hat, wird oft unflexibel in Bezug auf die Realität. Deshalb möchten wir zuletzt auch noch vorschlagen, sich immer zuerst darauf zu konzentrieren, was gerade passiert:
- Was tut mein Kind gerade?
- Wie fühlt es sich?
- Ist es aufnahmefähig?
Manchmal, im Falle einer Gefahr, ist schnelles Handeln nötig. Geredet werden kann hinterher.
3. Der Umgang mit Konflikten
Montessoris Weg zu Disziplin und Harmonie besteht darin, die Impulsivität und den Freiheitsdrang von Kindern sanft in produktive Bahnen zu lenken. Ist ein Kind frei und glücklich beschäftigt, besteht kein Anlass zu Konflikten, so die Hoffnung.
Trotzdem kommen sie, auch im Montessori-Alltag, laufend vor.
Je nach Art des Konflikts gibt es verschiedene Wege, auf das problematische Verhalten des Kindes reagieren. Einige Dinge sind ihnen allen gemeinsam:
- Strafen sind ein unangemessenes Mittel zur Disziplinierung. Kinder verändern ihr Verhalten nicht aus einer Einsicht heraus, sondern weil sie Angst vor der Konsequenz haben. Stattdessen solltest du auf natürliche und wohlüberlegte Konsequenzen setzen.
- Kinder sollten nicht dazu gezwungen werden, sich zu entschuldigen oder andere Höflichkeitsfloskeln zu nutzen. Natürlich ist eine Entschuldigung zu befürworten, wenn sie ehrlich gemeint ist. Wertvoller sind allerdings echte Unterweisungen in Konfliktlösung und im Schließen von Kompromissen.
- Das Kind wie niemals als Person herabgewürdigt oder beschimpft. Wenn etwas an einem Verhalten nicht in Ordnung ist, wird das Kind mit klaren Worten, wenn nötig auch körperlich, davon abgehalten. Je nach Alter des Kindes kann dann erklärt werden, was das Problematische daran ist.
- Erpressungen, Bestechungen oder emotionaler Druck erscheinen oft als der einzige Ausweg aus verfahrenen Situationen. Sie helfen aber auf lange Sicht nicht, sondern das Kind entwickelt so nur eine Erwartungshaltung und stellt sich innerlich auf einen Machtkampf ein. Die Freiheit des Kindes als Person soll immer gewährleistet sein.
- Emotionen müssen ausgedrückt werden, denn sonst nimmt das Kind sie nach innen und dort richten sie viel mehr Schaden an. Wut, Traurigkeit, Frustration und Angst werden ruhig begleitet, bis das Kind sich beruhigen kann. Nur Verhaltensweisen können falsch sein, nicht aber Emotionen.
Die meisten Konflikte im Familienalltag entstehen, wenn ein Kind etwas nicht tun soll oder wenn es etwas Bestimmtes tun soll.
Im ersten Fall (du möchtest dein Kind von etwas abhalten) benennst du das störende Verhalten direkt und sagst deinem Kind, dass du es das nicht tun lässt.
Du kannst ihm nach Möglichkeit eine Alternative anbieten, z.B.: “Ich lasse dich nicht mit Bauklötzen werfen. Du könntest jemandem wehtun. Wenn du etwas werfen möchtest, kannst du einen Ball nehmen.”
Grundsätzlich anders ist es, wenn dein Kind etwas nicht tun möchte. Du sollst es nach Möglichkeit nie zu etwas zwingen oder gegen seinen Willen wegtragen o.ä. Doch oft scheint es keine Alternative zu geben, wenn du etwa schon zwanzigmal den Aufbruch vom Spielplatz angekündigt hast.
Es kann manchmal hilfreich sein, auf natürliche Umstände zu verweisen (besser: “Es ist jetzt Zeit nach Hause zu gehen, denn es wird schon dämmerig” als: “Ich möchte, dass du jetzt nach Hause gehst”).
Oft hilft es auch, zwei Alternativen anzubieten (“Möchtest du auf dem Laufrad nach Hause fahren oder sollen wir den Bus nehmen?”).
Konflikt unter Kindern
Ein besonderer Fall sind Konflikte unter (Geschwister-)Kindern. In Montessori-Einrichtungen gibt es hier oft einen speziellen Ort (z.B. eine eigene Sitzecke für die Konfliktlösung) oder spezielle Rituale.
Entscheidend ist, dass die Bezugsperson allen beteiligten Kindern gleichermaßen zuhört und kein Urteil spricht. Den Konflikt lösen sollten die Kinder wenn möglich selbst, aber je nach Alter mit enger Begleitung und mit ernst gemeinten Vorschlägen für Kompromisse.
4. Häufige Hindernisse in der Kommunikation
Fehlende Präsenz und Klarheit
Wenn wir etwas rüberbringen wollen und dabei gestresst und in Gedanken versunken sind, wird das Gegenüber irgendwann nicht mehr mitgehen.
Für Kommunikation muss man sich Zeit nehmen. Wenn du ganz klar sagen kannst, was du möchtest oder was jetzt wichtig ist, klappt es oft schon beim ersten Mal.
Eigene starke Emotionen
Hier sind vor allem Wut und Ärger große Störfaktoren, aber auch Enttäuschung oder Kränkung. Sie rufen beim Gegenüber, egal ob jung oder alt, oft ebenfalls starke Gefühle wie Angst, Scham oder Ärger hervor, und dann ist der Kontakt meistens futsch.
Du darfst ruhig eigene Emotionen zeigen, aber geh reflektiert damit um und mach klar: Das sind meine Gefühle, du bist nicht dafür verantwortlich.
Zu viele Worte machen
Wir unterschätzen oft, wie lange speziell Kleinkinder brauchen, um Informationen zu verarbeiten. Wenn es um etwas Wichtiges geht, sind ein oder zwei klare Sätze oft viel hilfreicher als die vollständige Erklärung.
Je mehr du das Gesagte durch Gesten und dein gesamtes Verhalten untermauern kannst, desto eher kommt die Botschaft an.
Erlernte Muster
Besonders in stressigen Situationen greift oftmals der innere Autopilot: Wir verhalten uns dann nicht mehr so, wie es unseren Werten entspricht, sondern lassen unser Unbewusstes schalten und walten.
Und dieses Unbewusste hat ein sehr gutes Gedächtnis, vor allem an die frühe Kindheit. Wir greifen also auf sehr alte Beziehungsmuster zurück, auch auf solche, die uns selbst schaden.
Hier hilft es, die eigenen Motive wirklich genau zu analysieren, vielleicht auch mit Hilfe von außen.
Unsachliche Kritik
Wenn im Familienalltag alles drunter und drüber geht, bekommt man oft das Gefühl, Erziehung hieße nur: Dem Kind sagen, was es alles nicht tun soll. Und weil das so viele Dinge betrifft, ist es nur klar, dass wir manchmal genervt und unfreundlich sind.
Da Kinder sich selbst als Mittelpunkt der Welt verstehen und alles auf sich beziehen, tut das oft weh und schadet dem Selbstwert.
Besser: Kritik klar formulieren und dabei immer vermitteln, dass du dein Kind bedingungslos liebst.
Fehlende Geduld
Vieles von dem, was am Verhalten von Kindern so schwer zu akzeptieren ist, hat mit ihrer Gehirnentwicklung zu tun. Wenn ein Kleinkind gerade etwas Interessantes in der Wiese entdeckt hat, dann kann es einfach nicht weitergehen.
Zudem dauert die Informationsverarbeitung etwas länger als bei Erwachsenen.
Bevor du also eine Anweisung entnervt wiederholst, lass euch beiden viel Zeit. Oft geht es beim zweiten Mal dann ohne Probleme.
Beziehungsabbruch
Dieses Druckmittel ist ebenso alt wie effektiv. Unter Beziehungsabbruch fällt Anschweigen, Ignorieren, aufs Zimmer schicken, Weggehen oder sonstwie vermitteln, man würde das Kind nicht mehr lieben oder sogar seine Nähe ablehnen.
Das ist enorm verunsichernd für ein Kind, das ja zum Überleben auf den Kontakt zu dir angewiesen ist. Besser ist es, den Konflikt gemeinsam durchzustehen, auch wenn es dabei hitzig wird.
5. Praktische Tipps, wenn es nicht so funktioniert, wie es sollte
Re-wind: Nochmal von vorne anfangen
Wie oft passiert es, dass wir als Eltern nicht so handeln, wie wir es gerne würden. Aber das Gute ist: Wir müssen vor unseren Kindern nicht unser Gesicht wahren.
Stattdessen können wir einfach sagen: “So wollte ich nicht mit dir reden. Es tut mir leid. Kann ich noch einmal von vorne anfangen?”
Damit geben wir ihnen auch selbst ein wertvolles Werkzeug mit und vermitteln: Jeder Mensch macht Fehler. Entscheidend ist der Umgang damit.
Die Situation unterbrechen
Hier ist nicht dasselbe gemeint wie ein Kontaktabbruch. Stattdessen kannst du einer verfahrenen Situation einfach einen ganz neuen Impuls geben und so eine Lösung anbieten.
Wichtig ist aber, dass es zu einer Lösung kommt und das Kind sich nicht übergangen fühlt.
Also: Bei der nächsten Diskussion darüber, wieso sich dein Kind jetzt anziehen sollte, versuch kreativ zu sein. Humor kann hier eine große Hilfe sein.
Auf Augenhöhe gehen
Es ist schwierig, sich gehört und verstanden zu fühlen, wenn zum Gegenüber eine Hierarchie besteht. Damit sind Kinder aber tagtäglich konfrontiert: Erwachsene sind größer, stärker und haben ständig ein passendes Argument parat.
Bei einem schwierigen Thema gehst du dazu am besten auf die Ebene des Kindes – im körperlichen wie im kognitiven Sinn. Aus dieser Perspektive sehen die Dinge tatsächlich oft anders aus.
Visualisierung: Das Kind, das ich einmal war
Diese Übung kann für dich sehr hilfreich sein, wenn du scheinbar grundlos wütend auf dein Kind bist, Ablehnung empfindest oder es einfach nicht verstehen kannst.
Wenn du Zeit hast, schließ die Augen und stell dir dich im Alter deines Kindes vor.
Was hast du gebraucht, wie hast du dich gefühlt?
Auf diese Weise kannst du mehr Empathie für dein eigenes Kind und dich selbst entwickeln.
Übung: die Rollen tauschen
Wenn es in eurer Familie bestimmte Konfliktpunkte gibt, die immer wiederkehren, kannst du mit einem Kind ab dem Vorschulalter die Situation mit vertauschten Rollen durchspielen.
Auf jeden Fall werdet ihr so beide etwas übereinander lernen, und es ist oft überraschend, wie genau Kinder ihre Bezugspersonen beobachten und nachahmen können. Diese Übung könnt ihr auch einfach zum Vergnügen immer wieder machen.
Was will mein Kind mir sagen: Genaue Beobachtung
Oft ist es wichtig, nicht auf das Verhalten des Kindes zu reagieren, sondern genau zu überlegen, was dahintersteckt.
- Braucht mein Kind mehr Anleitung, mehr Freiheit, mehr Abwechslung, mehr Zeit im Freien?
- Wie fühlt es sich wohl gerade?
Je mehr man sich mit diesen versteckten Beweggründen befasst, desto besser kann man sie bald erkennen.
Das Wichtigste zuletzt
Bei Montessori sind Kinder eigentlich nicht anders, auch wenn die deutsche Übersetzung ihres Buches Il segreto dell’Infanzia (also “Das Geheimnis der Kindheit”) das nahelegt. Viel wichtiger ist bei ihr unsere geteilte Menschlichkeit.
Was bedeutet das für die Kommunikation mit Kindern?
Sie ist eine Verbindung von Mensch zu Mensch. Wir müssen dabei natürlich bedenken, mit wem wir es zu tun haben, was und wie viel dieser Mensch schon gelernt hat, usw. Aber wir müssen keine Rolle spielen. Wir pflegen eine Beziehung von Person zu Person, in der die Bedürfnisse des Kindes wichtig sind, aber auch unsere eigene.
Die Individualität des Kindes ist wichtig, aber auch unsere eigene.
Nur so kannst du zu dem Gegenüber werden, das dein Kind braucht und in dem es sich spiegeln kann: Aufrichtig und klar, menschlich und empathisch, aber nicht ohne persönliche Grenzen und ganz gewiss nicht ohne Fehler.